Energiepartnerschaften statt fossiler Abhängigkeit
Veröffentlichung März 2023
Auf lange Sicht und in einer Welt, die sich von fossilen Energieträgern abwendet, kann Energiesouveränität nur mit erneuerbarer Energie und gesteigerter Energieeffizienz erreicht werden. Das Factsheet beschreibt die Chancen von Energiepartnerschaften und -dialogen in einem vernetzten Europa – entgegen einer einseitigen Abhängigkeit bei fossilen Brennstoffen wie LNG.
Veröffentlichung März 2023
Die Diversifizierung der deutschen Energieversorgung ist das Gebot der Stunde. Verflüssigtes Erdgas, in Englisch Liquified Natural Gas (LNG), kann dies jedoch nicht leisten. LNG wird als sichere und diversifizierbare Alternative zu russischem Pipelinegas gehandelt. Dabei birgt es erhebliche mittel- und langfristige Risiken. Der Gasmarkt ist dominiert von einigen wenigen Gasgroßmächten, die ihre Ware an den Höchstbietenden verkaufen. Dahingegen bieten Energiepartnerschaften und -dialoge ein global diversifiziertes Portfolio. Die deutsche Regierung nutzt Energiepartnerschaften und -dialoge bereits aktiv, um die globale Energiewende voranzubringen und die Exportchancen deutscher Unternehmen zu unterstützen. Sie sind eine Chance zur Steigerung der Energiesouveränität, also dem Erreichen des Zustans, in dem „hinreichende, verlässliche Energielieferungen zu wirtschaftlichen Preisen auf eine Art erfolgen, die nicht mit den eigenen Werten, Interessen und außenpolitischen Zielen konfligiert oder diese gar gefährdet“. (Westphal, K. 2020. Strategische Souveränität in Energiefragen: Überlegungen zur Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit Deutschlands in der EU. SWP-Aktuell)
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine investiert die Bundesregierung in erheblichem Ausmaß in neue Terminals zum Import von LNG. Die Investitionen stehen unter dem Leitmotto der Diversifizierung, Steigerung der Versorgungssicherung und Preisstabilität. Der globale LNG-Export konzentriert sich jedoch auf wenige Länder, maßgeblich Australien, Katar und die USA. Die Anzahl der potenziellen Lieferanten ist demnach begrenzt. Dies spiegelt sich auch in den bisher abgeschlossenen LNG-Lieferverträgen Deutschlands wider. Auch hier wird die Dominanz von zwei großen Lieferanten sichtbar: den USA und Katar. Mit Katar hat sich Deutschland nicht nur an einen autoritären Staat, sondern auch an eine weitere Gasgroßmacht gebunden. Es droht die Gefahr, sich wie bei russischem Pipelinegas in neue Lieferabhängigkeiten zu begeben. Das wäre nicht nur ein Rückschritt auf dem Weg zu größerer Energiesouveränität, sondern es könnte auch die strategische Handlungsfähigkeit Deutschlands weiter einschränken.
Im Zuge der Energiekrise ist LNG für Deutschland zu einem kritischen Energieträger geworden, der umfangreiche Abhängigkeitsrisiken birgt. Die Europäische Union stuft Rohstoffe als kritisch ein, wenn sie wirtschaftlich für ihre Mitgliedsstaaten wichtig sind, größtenteils importiert werden, aber einem hohen Lieferrisiko unterliegen. Einflussfaktoren dafür sind beispielsweise eine starke Konzentration der Produktion in einem oder wenigen Ländern oder auch die Governance-Bedingungen in den Zulieferstaaten. Dieser Logik folgend müsste auch LNG als kritisch für Deutschland eingestuft werden. Der Energiemarkt, insbesondere der Wärmemarkt, ist aufgrund der verzögerten Energiewende noch in höchstem Maß von Gas abhängig.
Im Januar 2023 stammte fast die Hälfte des in Europa angelandeten Flüssiggases aus den USA. Europäische Unternehmen haben in den letzten zehn Jahren mindestens 33 Verträge für US-amerikanisches LNG unterzeichnet, zehn davon allein im vergangenen Jahr. US-amerikanische Firmen haben aktuell einen Anteil von über 50 Prozent an den LNG-Lieferverträgen, die Deutschland seit Februar 2022 abgeschlossen hat. Neueste Daten der amerikanischen Energy Information Agency (EIA) deuten jedoch auf einen Rückgang der Fracking-Kapazitäten in den USA hin. Zudem hat das Bild der USA als verlässlicher Partner Europas während der Präsidentschaft Donald Trumps schweren Schaden erlitten. Zwar hat der ehemalige Präsident sich für den Verkauf von LNG nach Europa ausgesprochen, um Russlands Macht zu schmälern. Der seit seiner Präsidentschaft anhaltende Fokus auf „Buy American“ zeigt jedoch klar die amerikanischen Prioritäten auf. Die nächste Präsidentschaftswahl im Jahr 2024 könnte erneut internationale Partnerschaften auf die Probe stellen.
Mangelnde Diversifizierung und strategische Vorausschau in der deutschen Energiepolitik zeigen sich nicht nur bei den Lieferanten, sondern auch bei der Wahl des Energieträgers selbst. Die hohen Vorab-Investitionskosten in die neue LNG-Infrastruktur zwingen Deutschland in eine jahrelange Nutzung des fossilen Brennstoffs, sofern man sehr hohe Abschreibungen vermeiden möchte. Der globale Gasmarkt steht jedoch im Umbruch. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) endet die Ära des raschen weltweiten Wachstums der Erdgasnachfrage, spätestens zum Ende des Jahrzehnts wird sie rückläufig sein. Die verbleibende Gasnachfrage wird sich hauptsächlich auf den asiatischen Raum konzentrieren.
Deutschlands Handlungsfähigkeit mit Blick auf LNG ist stark eingeschränkt. Die daraus resultierende Erpressbarkeit zeigt sich schon heute. Zum Beispiel wurden die Vertragslaufzeiten der Terminals verlängert, obwohl dies nicht mit den deutschen Klimaschutzzielen vereinbar ist. Außerdem liegen die realen Kosten der LNG-Terminals mittlerweile weit über der veranschlagten Höhe. Erst im Dezember 2022 hat das Bundeswirtschaftsministerium die Budgetschätzung für die Anschaffung und den Unterhalt schwimmender LNG-Terminals bis zum Jahr 2038 von ursprünglich fast drei Milliarden Euro auf mittlerweile fast zehn Milliarden Euro korrigiert. Hier begibt sich Deutschland in die Abhängigkeit von privaten Unternehmen, die die Terminals verleihen, chartern und betreiben.
Zu der fehlenden Diversifizierung der Lieferländer und der zu erwartenden Kostensteigerung kommt hinzu, dass das geplante Volumen der Importkapazitäten, welches gerade aufgebaut wird, vermutlich bei weitem den benötigten Bedarf an LNG übertrifft und die neugebauten Terminals deshalb in zehn bis fünfzehn Jahren obsolet sein werden. Die überdimensionierte Infrastruktur geht damit zulasten des Bundeshaushalts und damit auch der Steuerzahlenden, macht das Geschäft der Terminals mittelfristig unrentabel und steht im Widerspruch zu den im Klimaschutzgesetz festgeschriebenen Klimaschutzzielen.
Die Terminals sind größtenteils für den Import von Wasserstoff oder Ammoniak ungeeignet. Eine Umrüstung der Terminals an Land erfordert umfangreiche technische Anpassungen und zieht zum Teil erhebliche Kosten nach sich, die schwimmenden Terminals kommen dafür gar nicht in Frage. Falls alle LNG-Importvorhaben umgesetzt werden, sind erhebliche Fehlinvestitionen absehbar.
Europa ist eine der am stärksten vernetzten Regionen der Welt, mit einer robusten Energieinfrastruktur, die die verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander verbindet. Der Kontinent bietet hinsichtlich erneuerbarer Energien eine gute Mischung aus einem beträchtlichen Windpotenzial in den nördlichen und westlichen Regionen, ergänzt durch ein bedeutendes Solarpotenzial in den südlichen Regionen (siehe Abbildung 3). In einem vernetzten europäischen Energiesystem können sich beide Energieträger hervorragend ergänzen. Die derzeitige Energiesituation erfordert ein gemeinsames Vorgehen der gesamten EU. Angemessene Übertragungsverbindungen in ganz Europa sind entscheidend für die optimale Nutzung lokaler Ressourcen und die kostengünstige Erzeugung aus erneuerbaren Energien.
Angesichts der weltweiten Anstrengungen bis Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität zu erreichen, wird CO 2 -neutrale Energie zu einem Schlüssel des internationalen wirtschaftlichen Wettbewerbs. Insbesondere die Aussichten für schadstoffarme Gase, wie grüner Wasserstoff und seine Derivate, sind gut. Im Szenario der angekündigten Zusagen (APS) der IEA steigt die CO 2 -neutrale Wasserstoffproduktion von heute etwa einer Tonne jährlich auf über 30 Millionen Tonnen im Jahr 2030. Deutschland wird aufgrund seiner energieintensiven Industrien auch in einer klimaneutralen Zukunft weiterhin auf Energieimporte angewiesen sein, insbesondere mit Blick auf Wasserstoff. Erneuerbare Energiequellen sind jedoch im Gegensatz zu den meisten fossilen Energieträgern global verteilt. Die deutsche Regierung nutzt Energiepartnerschaften und -dialoge bereits aktiv, um die globale Energiewende voranzubringen und die Exportchancen deutscher Unternehmen zu unterstützen. 12 Sie sind ein Instrument, mit dem Deutschland seine strategische Handlungsfähigkeit erhalten und seine globale Gestaltungsmacht geltend machen kann. Neben strategischer Diversifizierung sollten Deutschland und die Europäische Union daher strategische Partnerschaften in der Energieversorgung anstreben, die Abhängigkeiten entgegenwirken und Energiesouveränität verstärken können.
Die angekündigte Diversifizierung der Gasimporte nach Deutschland scheint aktuell eher eine Verlagerung der Abhängigkeit zu sein – von fossilem Pipelinegas zu fossilem Flüssiggas. LNG sichert zwar die kurzfristige Versorgungssicherheit, der Bau fester LNG-Terminals an Land mit einer voraussichtlichen Lebensdauer bis in die 2040er Jahre schafft aber langfristig neue Lock-in-Effekte und wirtschaftliche Pfadabhängigkeiten, welche die strategische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik insgesamt stark einschränkt. LNG ist nicht klimaneutral, und die drohenden Lock-Ins erschweren eine Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft. Energiesouveränität kann in einer Welt, die im Begriff ist sich vollständig von fossilen Energieträgern abzuwenden, nur mit erneuerbarer Energie und Energieeffizienz erreicht werden.
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