Von alten Fehlern zu neuen Chancen: Neu­kartierung der Energie­politik

Die Auseinandersetzung mit strategischen Interessen, Handlungsmaximen und Gestaltungsoptionen in der Energiewende ist für die nationale Sicherheit Deutschlands von großer Bedeutung. Zu dieser Debatte möchten wir mit dieser Studie einen Impuls geben und beleuchten, wie Deutschlands Energiesouveränität mit dem Abschied von fossilen Energieträgern und Ausbau erneuerbarer Energien gelingen kann.

Auf einen Blick

  • Abkehr von fossilen Energieträgern. Bestehende wirtschaftliche Abhängigkeiten von autoritären Lieferanten fossiler Brennstoffe reduzieren und „Stranded Assets" vermeiden.
  • Diversifizierung und Integration wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Interessen. Exzessive hohe Abhängigkeiten von nur einem Anbieter gilt es aus Sicherheitsgründen zu vermeiden.
  • Beteiligung der Bundeswehr an der Energiemarktgestaltung. Insbesondere sind die sicherheitspolitischen Implikationen der Energietransformation für die eigene Einsatzfähigkeit zu verfolgen.
  • Strategische Vorausschau auf Verwundbarkeiten. Im Fokus stehen hier Rohstoffe, Technologien und ihre Komponenten, Wissen, Cybersecurity und andere Risiken.
  • Strategische Partnerschaften. Handels- und Lieferketten sollten mit politisch gleichgesinnten Partnern gestaltet werden. Energiepartnerschaften mit Drittstaaten könnten ebenfalls Risiken reduzieren und Resilienz stärken.
  • Technologieförderung. Es sollte mehr Gewicht auf Technologieförderungen durch Industriepolitik gelegt werden. Die Bundeswehr sollte eine „Green-Defense“-Orientierung in den Streitkräften verfolgen.
  • Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit. Energetische Aspekte sollten in der Beschaffung der Bundeswehr berücksichtigt werden, um die Chancen der Energietransformation und die aus ihr resultierenden langfristigen operativen Vorteile für die Streitkräfte zu nutzen.

Sicherheitspolitische Handlungsempfehlungen für die Neu­kartierung der Energie­politik

Veröffentlichung Dezember 2022

Hinweis: Bei den folgenden Inhalten handelt es sich um Auszüge aus dem Papier.

Zusammenfassung

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der anschließende russische Lieferstopp von Gas legten die Sicherheitsrisiken einer einseitig importabhängigen Energiewirtschaft offen. Russland verfügte als größter Lieferant fossiler Energieträger über ein erhebliches Erpressungspotenzial gegen Deutschland und nutzte seine Gasexporte als politische Waffe.

Erneuerbare Energien bieten die Chance, diese Abhängigkeiten zu reduzieren. Auch in der Energiewende sollten neue Abhängigkeiten im Blick gehalten und gemanagt werden. Deutschland sollte seine Versorgung mit erneuerbaren Energien diversifizieren und mittel- bis langfristig neue Partnerschaften für Schlüsseltechnologien und kritische Rohstoffe mit Drittländern eingehen.

Fokus des Impulspapiers ist, Beiträge zur Steigerung der Energiesouveränität vorzustellen und zu beleuchten, welche sicherheitspolitischen Aspekte in ihrer Umsetzung zu berücksichtigen sind. Wir diskutieren diese Frage anhand von zwei Beispielen. Erstens anhand von Chinas Dominanz in den Lieferketten für Schlüsseltechnologien und -materialien für die
Energiewende und zweitens anhand von nachhaltigen Investitionen in die Bundeswehr, die für ihre operative Handlungsfähigkeit und Innovationsfähigkeit entscheidend sein können. Ein solche Vorgehensweise könnte mit ihrer Innovationsfähigkeit sogar in eine Technologieführerschaft bei der energetischen Transformation in der Bundesrepublik münden.

Die Auseinandersetzung mit strategischen Interessen, Handlungsmaximen und Gestaltungsoptionen in der Energiewende ist für die nationale Sicherheit Deutschlands von großer Bedeutung.

 

Auf dem Weg zur Energiesouveränität: Alte Fehler und neue Chancen

Bis wenige Monate vor Russlands Angriff auf die Ukraine bestimmten vor allem wirtschaftliche Kriterien Deutschlands Energiepolitik gegenüber Russland. Getragen wurde diese Orientierung neben dem Wunsch nach billigen Energieimporten von der Überzeugung, dass Russland durch ein verpflichtendes Vertragswerk an Deutschland und Europa angebunden werden könne. Trotz hoher Energieimporte aus Russland sei Deutschland nicht einseitig abhängig, so argumentierten bundesdeutsche Regierungen bis 2021. Spätestens mit der Invasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 erwies sich diese Strategie als Fehler.

Die Bundesregierung steht nun vor der Herausforderung, die deutsche Energieversorgung nicht nur ökonomisch und regulativ, sondern auch sicherheitspolitisch neu aufzustellen und künftig nachhaltiger zu gestalten.

Der Weg zurück ist dabei verbaut: Auch wenn noch offen ist, wann und unter welchen Bedingungen der Krieg in der Ukraine endet, so ist eine Rückkehr zum Status quo ante mit Putins oder einem Nachfolge-Regime in Moskau weder vorstellbar noch möglich. Dies würde Deutschland erneut machtpolitisch erpressbar machen und die sicherheitspolitische Dimension von Energiepolitik ignorieren. Außerdem hat die Bundesregierung mit ihren Reaktionsmaßnahmen bereits neue Tatsachen geschaffen, die – unabhängig von der aus klimapolitischen Gründen erforderlichen Energiewende – die Neukartierung der Energiepolitik unumkehrbar forciert haben.

Wie die Klimakrise befördert der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Notwendigkeit, die Energieversorgung breiter aufzustellen und Abhängigkeiten zu begrenzen. Dies erfordert auch, fossile Energieträger schneller ab- und erneuerbare Energien schneller auszubauen. Das gilt insbesondere für Gas. Im Zentrum dieses Unterfangens steht die strategische Frage, wie Deutschland im europäischen Verbund eine Energiesouveränität entwickeln kann, die ökonomische Kriterien mit sicherheitspolitischen verbindet.

 

Der Umgang mit China: Strategische Vorausschau und Handlungsansätze

Diversifizierung, strategische Vorausschau und eine sicherheitspolitische Perspektive auf potenziell riskante Versorgungsabhängigkeiten werden entscheidend sein, ob Deutschland die bereits unumkehrbare Transformation hin zu erneuerbaren Energien meistern wird. Deutschlands und Europas künftigem Umgang mit China kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu.

Dies hat mehrere Dimensionen: Die durch Russlands Angriffskrieg forcierten geoökonomischen Veränderungen spielen China in die Hände. Zwar können Abhängigkeiten bei erneuerbaren Energien aufgrund der oben erläuterten Gründe strategisch leichter gemanagt werden als bei fossilen. Doch birgt Chinas Versorgungsdominanz bei Rohstoffen und der Produktion erneuerbarer Energien ein signifikantes Risiko neuer sicherheitspolitischer Schieflagen. Diese Gefahr wird amplifiziert durch Chinas erklärtes Ziel, seine Stellung als systemischer Wettbewerber des Westens auszubauen.

Ohne China geht es also nicht. Wie soll dann die Neukartierung der Energiepolitik gelingen, ohne die alten Fehler einseitiger Importabhängigkeit zu wiederholen?

Um den Risiken in der Neukartierung des Energiemarktes entgegenzuwirken und strategische Handlungsoptionen entwickeln zu können, ist ein klarer Blick auf Chinas geopolitische Ambitionen erforderlich. Ebenso braucht es eine Differenzierung der Abhängigkeiten in den Wertschöpfungsketten von Schlüsseltechnologien und kritischen Rohstoffen.

Europa muss seine Energiesouveränität daher gezielt stärken. Eine erfolgreiche Energiewende braucht robuste Lieferketten. Um diese zu fördern, hat die Europäische Kommission 2020 vorgeschlagen, die Abhängigkeit von primären kritischen Rohstoffen durch eine zirkuläre Ressourcennutzung, nachhaltige Produkte und verstärkte Innovation zu verringern.

Künftige Energiepartnerschaften können dazu beitragen, die Abhängigkeit von China durch Diversifizierung zu verringern. Hierbei sollten sowohl wirtschaftliche als auch sicherheitspolitische Überlegungen eine Rolle spielen.

 

 

Die Bundeswehr als Nachfrager und Treiber von Energiesouveränität

Im Vergleich zu fossilen Brennstoffen ermöglicht der Wandel zu erneuerbaren Energien eine leichtere Navigation möglicher Risiken, da diese Energiequellen weder geografisch begrenzt noch willkürlich terminierbar sind. Sicherheitsrisiken mit Blick insbesondere auf China erfordern einen stetigen Abgleich ökonomischer und sicherheitspolitischer Interessen: Leitstern einer aktiv gestalteten, sicherheitspolitisch ausgerichteten Energiepolitik ist die Steigerung der eigenen Energiesouveränität.

Neben diesem internationalen Handlungsrahmen verfügt Deutschland auch über nationale Gestaltungsmöglichkeiten zur Steigerung der eigenen Energiesouveränität. Hierbei können die Streitkräfte eine Rolle als Nachfrager von Energie und Treiber langfristiger technologischer Innovation einnehmen.

Die Bundeswehr sollte daher aktiv in die Gestaltung des energiepolitischen Transformationsprozesses einbezogen werden. Im Rahmen eines Green-Defense-Konzeptes könnte sie Ansätze entwickeln, ihre eigene Einsatzfähigkeit teilweise zu steigern.

Vor allem im Kontext der Landes- und Bündnisverteidigung ist die Bundeswehr sehr stark von der zivilen kritischen (Energie-)Infrastruktur abhängig. Der Rückgriff auf diese Strukturen wird eine Grundvoraussetzung, damit sie ihren Verfassungsauftrag erfüllen kann.

Damit werden die Streitkräfte in der Zukunft unmittelbar von der grundlegenden Transformation betroffen sein, in der sich der zivile Energiemarkt und die mit ihm verbundene kritische Infrastruktur befinden. Die Rolle von Öl und Gas als politischer Waffe innerhalb der russischen Aggression hat aufgezeigt, wie anfällig die europäischen Energiesysteme für äußere Einflüsse sind. Diese Verwundbarkeit der Energiesysteme stellt somit auch eine militärische Verwundbarkeit dar.

 

Handlungsempfehlungen zur Steigerung von Energiesouveränität

Abkehr von fossilen Energieträgern: Politik und Wirtschaft müssen ein klares Bewusstsein dafür entwickeln, dass erneuerbare Energien die bestehenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten von autoritären Lieferanten fossiler Brennstoffe reduzieren können. Um „stranded assets“ in der Bundeswehr zu vermeiden, sollte das militärische Beschaffungswesen Entwicklungen im Energiemarkt und bei anwendungsspezifischen Energieträgern in den für die Bundeswehr relevanten Wirtschaftssektoren stärker mit einbeziehen, ohne dabei die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu gefährden.

Diversifizierung und Integration wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Interessen: Exzessive hohe Abhängigkeiten von nur einem Anbieter gilt es aus Sicherheitsgründen zu vermeiden. Eine sicherheitspolitisch orientierte Diversifizierung bedeutet mehr Versorgungssicherheit und geringere risikoangepasste Kosten, auch wenn diese gegen Markttendenzen stattfindet und zunächst teurer erscheint.

Beteiligung an der Energiemarktgestaltung: Die Bundeswehr sollte sich aktiv an der Gestaltung eines neuen Energiemarkts beteiligen. Insbesondere sind die sicherheitspolitischen Implikationen der Energietransformation für die eigene Einsatzfähigkeit mit bestehenden und zukünftigen Waffensystemen zu verfolgen.

Strategische Vorausschau auf Verwundbarkeiten: Im Fokus stehen hier Rohstoffe, Technologien und ihre Komponenten, Wissen, Cybersecurity und andere Risiken. Insbesondere in den Beziehungen mit China ist ein regelmäßiges proaktives Monitoring der Verwundbarkeiten in allen Liefer- und Wertschöpfungsketten der erneuerbaren Energien erforderlich. Europa und Deutschland sollten außerdem aktiv die Produktion von Polysilizium und anderen kritischen Mineralien fördern.

Strategische Partnerschaften: Handels- und Lieferketten sollten insbesondere mit politisch gleichgesinnten Partnern wie den G7-Ländern und der EU gestaltet werden. Zudem sollte sich der europäische Binnenmarkt stärker gegenüber vielen „Emerging Economies“ öffnen. Dies ist umso wichtiger, als einige seltene Rohstoffe für die Energiewende verstärkt aus diesen Ländern bezogen werden könnten. Energiepartnerschaften mit Drittstaaten könnten ebenfalls Risiken reduzieren und die Resilienz stärken.

Technologieförderung: Neben verstärkter Grundlagenforschung sollte mehr Gewicht auf Technologieförderungen durch Industriepolitik gelegt werden. Die Mittel für die grüne Ökonomie aus dem europäischen Coronafonds sind zwar ähnlich groß wie die Aufwendungen des „Inflation Reduction Act“, im Bereich der Technologieförderung aber nicht vergleichbar. Allerdings gilt es, klare Prinzipien zu etablieren und politische Willkür zu vermeiden. Die Bundeswehr sollte eine „Green-Defense“-Orientierung in den Streitkräften verfolgen, die ihre eigene Einsatzbereitschaft erhöht, militärische Vorteile bietet und zugleich zum Ausbau nachhaltiger Energiesysteme auf gesamtstaatlicher Ebene beiträgt.

Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit: Die energetischen Aspekte sollten – wo die Steigerung der militärische Einsatzfähigkeit dies erfordert – stärker in künftigen Beschaffungsprozessen der Bundeswehr berücksichtigt werden, um die Chancen der Energietransformation und die aus ihr resultierenden langfristigen operativen Vorteile für die Streitkräfte zu nutzen. Allerdings kann diese Forderung erst seine volle Wirkung entfalten, wenn sowohl die regenerative Energieerzeugung als auch die Wasserstofferzeugung in den nächsten Jahrzehnten aufgebaut sein wird.

 

Die Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Stefan Bayer (GIDS) gehört als Leiter Forschung dem erweiterten Vorstand des German Institute for Defence and Strategic Studies in Hamburg an. (www.gids-hamburg.de)

Dr. Jana Puglierin (ECFR) ist Leiterin des Berliner Büros und Senior Policy Fellow des European Council on Foreign Relations. (www.ecfr.eu)

Dr. Guntram Wolff (DGAP) ist Direktor und CEO der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er hat außerdem einen Lehrauftrag als Professor an der Freien Universität Brüssel. (www.dgap.org)

 

Dieses Projekt wurde von der European Climate Foundation gefördert.

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